Wenn der Urlaub gar nicht verfallen ist
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 19. Februar 2019 auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06. November 2018 reagiert und wird zukünftig den § 7 Abs.3 Satz 2 BUrlG anders interpretieren. Diese neue Interpretation kann dazu führen, dass bereits als verfallen geltende Urlaubsansprüche oder Ansprüche auf Urlaubsabgeltung aus dem Jahr 2018 doch einklagbar sind.
Der auslösende Streitfall
Herr Shimuzu war bis Ende 2013 befristet bei der Max-Planck-Gesellschaft angestellt. Als das Arbeitsverhältnis beendet wurde, erhob er Anspruch auf die Abgeltung von 51 Tagen nicht angetretenen Urlaubs in Höhe von knapp 12.000 Euro. Die Max-Planck-Gesellschaft lehnte die Zahlung ab und verwies darauf, dass sie Herrn Shimuzu zwei Monate vor Beendigung seiner Tätigkeit per Mail aufgefordert hätte, den noch ausstehenden Urlaub zu anzutreten. Die daraufhin erfolgte Klage vor dem Landesarbeitsgericht landete mit dem Weg über das BAG schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof.
Das Urteil des EuGH
Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt die Vorgabe des EuGH aus dem November 2018 eins zu eins umgesetzt und schlägt mit dem Urteil 9 AZR 541/15 einen grundlegend neuen Weg der Rechtsauslegung ein. Zwar behält der § 7 Abs.3 Satz 2 des Bundesurlaubsgesetzes seine Gültigkeit, dass der zustehende Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Bisher hatte das BAG aber daraus geschlossen, dass ein nicht angetretener Urlaub automatisch verfällt.
Dieses galt selbst in dem Fall, dass der Arbeitnehmer rechtzeitig einen Antrag auf Urlaub gestellt hatte, dieser Antrag vom Arbeitgeber aber nicht gewährt worden war. Der EuGH widersprach jedoch dieser Auslegung. Ein automatischer Verfall von Urlaubsansprüchen könne nur dann entstehen, wenn der Arbeitnehmer auch wirklich in die Lage versetzt worden sei, seinen Urlaub rechtzeitig anzutreten. Nachdem dieses Urteil des EuGH bereits im Jahr 2018 gefällt wurde, kann das in Konsequenz bedeuten, dass Arbeitnehmer verfallene Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2018 erfolgreich einklagen können.
Die neue Auslegung des BAG zum Verfall eines Urlaubsanspruchs
Grundlage des Urteils ist die für die Mitgliedsstaaten der EU geltende Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG, nachdem sie sicherstellen müssen, dass Arbeitnehmer einen mindestens vierwöchigen bezahlten Urlaub pro Jahr erhalten. Die Regelung, wie mit nicht angetretenen Urlaubszeiten umgegangen wird, unterliegt der staatlichen Gesetzgebung. Damit bleibt der Verfall des Anspruchs aus dem deutschen Bundesurlaubsgesetz rechtens. Aber das BAG hat mit seiner neuen Interpretation die Bedingungen korrigiert, die ein Arbeitgeber einzuhalten hat, damit der Urlaubsanspruch verfällt bzw. nicht ins erste Quartal des Folgejahres übertragen werden kann. Der Arbeitnehmer trägt weiterhin die Verantwortung dafür, seine Urlaubswünsche vorzubringen und entsprechende Zeiten dafür zu benennen. Ebenso bleibt es nach wie vor das Recht des Arbeitgebers die tatsächliche Urlaubszeit festzulegen. Er soll dabei nach Möglichkeit die Wünsche des Arbeitnehmers berücksichtigen.
Jedoch hat das BAG die Initiativlast für den Arbeitgeber auf Verwirklichung des Urlaubsanspruchs erhöht. Der Arbeitgeber muss zukünftig den Arbeitnehmer rechtzeitig und schriftlich darauf hinweisen, dass er seinen Urlaub während des Kalenderjahres oder eines bestimmten Übertragungszeitraums zu nehmen hat. Ebenso muss der Arbeitnehmer rechtzeitig und schriftlich darauf hingewiesen werden, dass andernfalls der Urlaubsanspruch und/oder ein möglicher Abgeltungsanspruch verfällt. Der übliche Eintrag der bestehenden Resturlaubstage zum Beispiel auf der Gehaltsabrechnung reicht dazu nicht aus. Dieser Hinweis muss vom Unternehmen dokumentiert und entsprechend archiviert werden. Das Gericht hat allerdings nicht eindeutig festgehalten, ob diese Unterrichtung persönlich unter Verweis auf den noch ausstehenden Urlaubsanspruch erfolgen muss oder auch die generalisierte Form durch eine Information der gesamten Belegschaft ausreicht.
Die Folgen im ursprünglichen Streitfall
Falls der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass diese Unterrichtung rechtzeitig erfolgt ist, kann der Arbeitnehmer eine Übertragung des Urlaubsanspruchs verlangen. Bislang war eine solche Übertragung ins nächste Kalenderjahr nur möglich gewesen, wenn entweder dringende betriebliche Gründe vorlagen oder aber der Arbeitnehmer zum Beispiel aus Krankheitsgründen zwingend verhindert war den Urlaub zu nehmen. Das BAG hat den ursprünglichen Streitfall zwischen Herrn Shimuzu und der Max-Planck-Gesellschaft an das zuständige Landesarbeitsgericht (LAG) München zurückverwiesen. Hier muss jetzt geklärt werden, ob seinerzeit alle jetzt neu geltenden Bedingungen für den Verfall des Urlaubsanspruchs eingehalten worden sind. Es darf bezweifelt werden, ob das LAG den Zeitraum von zwei Monaten für die Aufforderung zum Antritt eines Resturlaubs von 51 Tagen als rechtzeitig einstufen wird. Ebenso wird es prüfen, ob die Max-Planck-Gesellschaft den Kläger tatsächlich informiert hat, dass bei Nichtantritt sein Urlaubsanspruch oder die entsprechende Abgeltung verfallen würde.
Mögliche Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Aus der Pressemitteilung des BAG zum o.a. Urteil lässt sich nicht entnehmen, wie das Gericht in seiner künftigen Rechtsprechung mit den nach alter Auslegung verfallenden Urlaubsansprüchen vergangener Jahre umgehen wird. Jedoch hat der Sprecher des BAG bei der Bekanntgabe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Arbeitnehmer jetzt prüfen könnten, ob sie möglicherweise doch Anspruch auf Urlaub hätten, von dem sie annahmen, dass er verfallen sei. Falls Sie diesbezüglich weiterführende Fragen haben, stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne beratend zur Seite.